Schuften am Vormittag und Freizeit am Nachmittag – so sieht zur Zeit der Alltag der ausländischen Schüler und Studenten aus, die bei einem Workcamp in Nitzschka gemeinsam mit deutschen Jugendlichen arbeiten. Das Camp wird von Verein für umweltbewusstes und soziales Handeln betreut. Für die Freizeit gibt es ein reichliches Programm. Seite 30
Eines von zehn Workcamps des Internetionelen Jugendgemeinschaftsdienstes
findet in Nitzschka statt
Vormittags schuften, nachmittags Freizeit – und nebenbei die deutsche Sprache lernen
Nitzschka. Sommerzelt ist Workcampzeit. Zehn davon veranstaltet
der Internationale Jugengemeinschaftsdienst (IJGD) in Sachsen, Sachsen-Anhalt,
Thüringen und Polen. Eins davon in Nitzschka beim Verein zur Förderung
umweltbewussten und sozialen Handelns.
Die 16jährige Amelie erntete komische Blicke, als sie ihren Freunden
erzählte, dass sie ihre Ferien mit Arbeit in einem Workcamp in Nitzschka
in Sachsen verbringen wird. „Aber dabei lernt man sich gut kennen", weiß
die Schülerin aus Thionville bei Metz. In Frankreich hat sie schon
mal bei einem Workcamp mitgemacht. Nun das erste Mal in einem anderen Land
- „um Leute kennenzulernen und deutsch zusprechen". Sechs Jahre lernt sie
diese Sprache bereits. Amelie findet es auch ganz gut, dass sie die einzige
Französin im Lager ist: „Jetzt muss ich einfach immer deutsch sprechen".
Vormittags schachtet sie nun zusammen mit den anderen zwei Gräben
vor dem alten Rittergut aus, fährt Schubkarre um Schubkarre mit Erde
weg. Sitzgruppen sollen hier im Schlosspark entstehen. Schwer sei diese
Arbeit nicht, stimmen alle überein. Gleich am ersten Arbeitstag mussten
die einsatzwilligen Helfer vor dem Regen in die Werkstatt des Vereins flüchten.
Der guten Stimmung tat das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Monika aus
der Slowakei freute sich tierisch darüber, dass sie den selbst gedrechselten
Kerzenständer gleich behalten durfte.
Nach fünf Stunden Arbeit gibt es Mittagessen. „Wir kochen selbst,
jeden Tag ist ein anderer damit dran", erzählt Amelie. Selbstorganisation
und eigenständige Arbeit gehören schließlich zur Philosophie
von Workcamps. Das zu vermitteln ist eine der Aufgaben von Claudia Mertens,
die die Gruppe im Auftrag des IJGD leistet. Entscheidungen treffen aber
alle zusammen. Zum Beispiel über Freizeitaktivitäten.
Annelies und Eberhard Friedrich, Vorsitzende und Geschäftsführer
des Nitzschkaer Vereins, haben zwar ein umfangreiches Programm zusammengestellt.
Aber dessen Umsetzung wird je nach Lust und Laune der Camp-Teilnehmer gehandhabt.
So stand letzten Sonnabend eigentlich eine Fahrt nach Dresden auf dem Plan.
Doch spontan entschlossen sich die Jugendlichen, lieber nach Berlin zur
Love-Parade zu fahren.
„Ich mag eher leise Musik", sagt Dimitry aus Weißrussland von
sich. -Aber einmal in Deutschland und dann nicht in Berlin - das geht nicht".
Die Hauptstadt hat ihn jedenfalls beeindruckt. Außer Techno-Musik
gab es auch einen Besuch im Reichstag. Erst seit einem Jahr büffelt
der 22-jährige Bauingenieur deutsch. Anfangs ganz allein im Selbststudium,
jetzt beim Goethe-Institut in Minsk. Dort erzählte ihm auch jemand
von den Workcamps. Für Dimitry eine einmalige Gelegenheit: „Bei uns
verdienen die Leute wenig Geld. Es gibt keine Möglichkeit, leicht
nach Deutschland zu kommen". Gerade mit dem Studium fertig geworden, würde
er gern mal ein ganzes Jahr in Deutschland arbeiten. Aber er weiß,
dass auch hier viele Menschen nach Arbeitsuchen.
In Nitzschka arbeiten die Schüler und Studenten mit deutschen
Jugendlichen zusammen, die beim Verein zur Förderung umweltbewussten
und sozialen Handelns in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt
sind. „Das ist mal etwas anderes", begrüßt Vorarbeiter Paul
Ernst das Workcamp.
Wertvolle Erfahrungen sollen dabei alle Beteiligten sammeln. „Ganz
nett" seien die Deutschen, heißt es unisono bei den Teilnehmern des
Camps. Der gegenseitige Austausch habe anfangs noch ein wenig gestockt,
berichtet Gruppenleiterin Claudia. Im Gegensatz zu den Studenten, die alle
mindestens einer Fremdsprache mächtig sind, stehen die meisten der
deutschen Jugendlichen ohne Schulabschluss da. Eberhard Friedrich macht
das für deren Hemmungen verantwortlich. „Fragt die mal was" fordert
seine Frau ihre Jugendlichen immer wieder auf. Auch bei einem Besuch von
Oberbürgermeister Anton Pausch am vergangenen Donnerstag ging es noch
reichlich steif zu.
Mittlerweile habe sich das jedoch gelegt, erzählt Claudia Mertens.
Bei den Abendveranstaltungen kommen auch immer mal Besucher vom Jugendclub
Schweizergarten in Würzen vorbei. „Hier im Dorf gibt es sonst kaum
Jugendliche", bedauert sie. Eberhard Friedrich hat extra Fördermittel
für Fahrräder mit beantragt. Mit diesen Rädern fahren die
Camp-Teilnehmer fast täglich ins Freibad nach Burkartshain und können
auch die umliegende Landschaft erkunden. Für größere Touren
sind sie jedoch auf den Vereinsbus und private Autos angewiesen.
An einigen Details merkt man, dass das Lager in diesem Jahr relativ
kurzfristig zustande kam. Alles wirkt ein wenig improvisiert. Die Kücheneinrichtung
kommt vom Möbelfundus, die Stadt Wurzen hat noch altes Geschirr beigesteuert.
Im selben Saal befinden sich hinter einer Trennwand die Betten der Mädchen.
An der Wand stehen noch vier schwere Arbeitstische mit wuchtigen Schraubstöcken.
„Die Unterbringung bei Workcamps ist in der Regel schon spartanisch",
erläutert Dorothea Fuchs von IJGD. Bei den einfachen Lebensverhältnissen
könne man sich besser kennenlernen. Dass es in ihrer Unterkunft nur
einfache Waschbecken gibt, war den hart arbeitenden Gärtnern dann
aber doch zu spartanisch. Nach ein paar Gesprächen von Annelies
Friedrich können sie jetzt „immerhin die Duschen vom Sportplatz nutzen
Frank Schubert

Improvisiert, aber spannend: Jeden Tag kocht eine anderer Student Spezialitäten seines Heimatlandes.

Gruben schachten - bis mittags arbeiten die ausländischen Studenten gemeinsam mit den Jugendlichen eines ABM-Projektes im Park des Nitzschkaer Rittergutes.
Fotos: Röse
LVZ Wurzen 27. Juli 2001